Am 20. November 2020 feiert die UN-Kinderrechtskonvention ihren 31. Geburtstag. In 54 Artikeln garantiert sie Kindern seit 1989 weltweit unter anderem das Recht auf Gesundheit, Bildung, Spiel, Freizeit und kulturelle Teilhabe, aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und Beteiligung. Diese Rechte gelten für alle jungen Menschen von 0 bis 18 Jahren.
Zu diesem Anlass lohnt ein genauer Blick auf die Umsetzung der Kinderrechte in der Corona-Krise. Denn schon Kurt Tucholsky sagte: „Recht kann man nur in bedrohten Lagen erkennen; wenn es da nicht gilt, taugt es nichts.“
Was also taugen die Kinderrechte? Welche Auswirkungen haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen? Wo sind diese eingeschränkt (worden)? Und wie ernst ist es den Politikerinnen und Politikern der großen Koalition mit ihrem Vorhaben, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen?
Einige der Kinderrechte, die 1989 mit der UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet wurden, waren im Frühjahr – scheinbar ganz einfach – außer Kraft gesetzt. Die Corona-Krise hatte gravierende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen. Unter anderem waren die unzureichende Umsetzung von Partizipationsrechten sowie die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen betroffen.
Viele Maßnahmen wurden von der Politik beschlossen, ohne die Kinder und Jugendlichen – oder wenigstens deren Situation – einzubeziehen. In der öffentlichen Debatte tauchten Kinder und Jugendliche oft nur als „Virenschleudern“ oder Veranstalter von Corona-Partys auf. Sorgen, Ängste und Bedarfe wurden seltsam wenig thematisiert. Die Schließung von Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie von Kitas und Schulen hatte zur Folge, dass sich Bildungsbenachteiligung noch weiter verschärfte. Die Kinderrechte, über die Gestaltung von Freizeit und Spiel selbst zu entscheiden, sich zu erholen und künstlerisch tätig zu sein, waren stark eingeschränkt. Denn Freizeiteinrichtungen sowie Spiel- und Sportplätze, die wie keine anderen Orte geeignet sind, diese Rechte auszuleben, waren geschlossen. Kindern und Jugendlichen war es nicht mehr möglich, Freunde und Freundinnen zu treffen. Aneignungs- und Selbstbildungsprozesse in der Peer (Gleichaltrigen-Gruppe) waren Kindern und Jugendlichen verwehrt und so waren sie einer weiteren wichtigen Entwicklungsmöglichkeit beraubt. Um diese Effekte abzufedern, versuchte Offene Kinder- und Jugendarbeit, vor allem über soziale Netzwerke und digitale Kommunikationsplattformen, Kontakt zu Kindern und Jugendlichen herzustellen, digitale Begegnungen auch zwischen den jungen Menschen zu ermöglichen und kulturelle Bildungsmöglichkeiten zu schaffen. Fachkräfte waren zudem in ihren Stadtteilen unterwegs, um Kinder und Jugendliche zu treffen und sie z.B. bei der Bearbeitung schulischer Ansprüche zu unterstützen.
Und jetzt? Haben Politik und Gesellschaft etwas gelernt? Was ist mit der Umsetzung der Kinderrechte angesichts der „zweiten Welle“ der Pandemie?
Auf den ersten Blick scheinen die Kinderrechte in der aktuellen Phase der Pandemie besser umgesetzt zu sein. Das Recht von Kindern und Jugendlichen, bei allen Fragen, die sie betreffen, mitzubestimmen, ist jedoch nach wie vor stark beschnitten. Kinder und Jugendliche wollen mit ihrer Meinung öffentlich gehört werden. Ihre Stimme findet jedoch in der demokratischen Öffentlichkeit kaum Gehör. Kinder und Jugendliche können aktuell wieder Kitas und Schulen besuchen. In den Gesundheitsschutz von Kindern und Jugendlichen in ihren Gruppenräumen und Klassenzimmern wird jedoch wenig investiert. Gleichzeitig werden Kinder und Jugendliche wieder als Gefährder*innen und Regelbecher*innen von den Medien konstruiert. Sowohl privat als auch in der Öffentlichkeit ist es Kindern und Jugendlichen wieder verboten, sich in Gruppen zu treffen. Auch Freizeit- und Sporteinrichtungen mussten wieder schließen. Für Kinder und Jugendliche finden wichtige Phasen der Entwicklung und Sozialisation in der Corona-Zeit statt. Dabei geht es um die Weichenstellungen für die nächsten Jahrzehnte ihres Lebens. In den Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit finden Kinder und Jugendliche – unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln – Freiräume und Chancen der Selbstbildung und kulturellen Bildung sowie Möglichkeiten der Teilhabe und Bewegung. Dies gilt es, im Hinblick auf zu erwartende (Spar-) Debatten über die Notwendigkeit Offener Kinder- und Jugendarbeit zu betonen.
Da noch kein Ende der Corona-Krise in Sicht ist, braucht es, um die außerordentlich problematische Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen in der Krise zu entschärfen, dringender denn je den politischen Willen zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Es ist an der Zeit, das von der Bundesregierung in ihrem gemeinsamen Koalitionsvertrag festgelegte Vorhaben umzusetzen: während ihrer Regierungszeit die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen!